Neue Ideen

Mein Interesse an Politik geht auf den 1. Oktober 1982 zurück. Ich kann das so genau festmachen, da dies der Tag war, an dem Helmut Kohl, durch ein konstruktives Misstrauensvotum des Bundestages, Helmut Schmidt als Bundeskanzler ablöste. Ich war damals knapp 14 Jahre alt und mit meinem Vater im Auto unterwegs, als ich die Meldung im Radio hörte. Ich kannte Helmut Schmidt aus dem Fernsehen, er war mir nicht unsympathisch, er war eben der Bundeskanzler, der einzige, den ich bis dahin bewusst erlebt hatte. Helmut Kohl hingegen war mir von dieser ersten Minute an unsympathisch, was sich in den darauf folgenden 16 Jahren nicht ändern sollte, denn das, was ich da im Radio mitverfolgte, empfand ich in meiner jugendlichen Unschuld als zutiefst ungerecht und undemokratisch.

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Links & Rechts – antiquierte Konzepte

Daran hat sich bis heute nichts geändert – an meinem Empfinden, meine ich.
Der Wechsel einer Partei von einem Koalitionspartner zum anderen während einer Wahlperiode ist nach meiner Überzeugung verfassungskonformer Wählerbetrug. Abgesehen davon, dass ich Koalitionen an sich – insbesondere solche, die nicht bereits vor einer Wahl angekündigt werden – für prinzipiell unfair und irreführend gegenüber den Wählern halte und darin einen der Gründe sehe, für schwindendes politisches Interesse und abnehmende Wahlbeteiligungen. Wozu wählen, wenn man ja doch keine Ahnung hat, was am Ende dabei herauskommen kann? Aber das soll jetzt gar nicht Thema sein!

Seit besagtem Herbst 1982 beobachte ich nun also das politische Geschehen in Deutschland, und in diesen annähernd drei Jahrzehnten – die überwiegende Mehrheit davon unter der Ägide Kohl – habe ich, wenn man’s genau nimmt, nicht eine einzige, echte und erwähnenswerte, neue politische Idee wahrgenommen.

In 27 Jahren sah ich auf immer die gleichen Probleme, die immer gleichen, stereotypen Reaktionen und Aktionen folgen. Und selbst bei Themen und Problemen, die tatsächlich neu oder außergewöhnlich sind – Klimawandel, globale Vernetzung, weltweite Finanzkrise usw. – agieren die politisch Werktätigen mit verstaubtem Instrumentarium, das zum großen Teil noch aus dem vorletzten Jahrhundert stammt.

Klettern die Arbeitslosenzahlen, wird das Rentenalter gesenkt, wenn dann bemerkt wird, dass sich die Rentenkassen besorgniserregend leeren, werden die Beiträge erhöht, solange, bis sich niemand mehr neue Arbeitskräfte leisten kann, dann wird das Rentenalter wieder heraufgesetzt, was erneut den Arbeitsmarkt belastet und der Kreis schließt sich. Nur eines von unzähligen Beispielen.

Links & Rechts – Themen für Joghurtteilchen

Und noch immer teilt sich die politische Welt in „links“, „rechts“ und ein bisschen „Mitte“. Allesamt gesellschaftliche Grundkonzepte, die im Wesentlichen Mitte des vorvergangenen Jahrhunderts formuliert wurden, die aber auf die Herausforderungen der Gegenwart in Wahrheit per se keine Antworten haben.

Bei Karl Marx wird man ebenso wenig über den Anstieg des Meeresspiegels lesen, wie bei Ludwig Windthorst über die demographischen Veränderungen während der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts. Es ist, als wolle man ein Notebook mit dem Werkzeugkoffer eines mittelalterlichen Hufschmieds reparieren.

Rechts und links, das sind Themen für sich drehende Joghurtteilchen! Aus den politischen Debatten der Jetztzeit sollten sich diese Begriffe längst verabschiedet haben. Aber der Mensch liebt natürlich seine Schubladen.

Die letzte, halbwegs erwähnenswerte neue Idee, die mir untergekommen ist, oder sagen wir besser neue Einsicht, da es nicht wirklich eine Idee war, stammte ausgerechnet von Oskar Lafontaine, eben jenem, der seit seiner Rückkehr aus der Frühpension ausschließlich ebensolche Kammelen aufbrüht, die auf der Mitte des 19. Jahrhunderts datieren, die er aber durchaus „hip“ und gekonnt vorträgt.

Seine einzige wirklich neuwertige Ansage ist hingegen auch schon wieder über 20 Jahre alt, nämlich die  Erkenntnis, dass kürzere Arbeitszeiten nur dann zu mehr Beschäftigung führen können, wenn sie ohne vollen Lohnausgleich stattfinden. Für jeden, der zehn Finger – im Zweifel reichen dafür auch ein paar weniger – besitz, um damit zu zählen, eigentlich das Selbstverständlichste auf der Welt. Lafontaine wurde seinerzeit dafür natürlich politisch gesteinigt und zur Strafe erst einmal nicht Kanzlerkandidat der SPD. So geht es jemandem, der „Neues“ verkündet.

Der vorwitzige Saarländer machte noch einmal den Fehler etwas Unangenehmes in die Welt zu posaunen, nämlich als er es für angebracht hielt, darauf hinzuweisen, dass die deutsche Wiedervereinigung irgendwie ein wenig was kosten und dass das vermutlich wohl nicht ganz aus der Portokasse zu bezahlen sein wird.

Zu diesem Zeitpunkt war er dummerweise bereits Kanzlerkandidat, worauf er folgerichtig nur mit der seinerzeit heftigsten Wahlniederlage der SPD seit Kriegsende bestraft werden konnte. Kein Wunder, dass der Mann seither beschlossen hat, den Menschen fortan nur noch güldene Füllhörner zu versprechen. Es solle niemand sagen ein Politiker wäre nicht lernfähig.

Aber zurück zu den neuen Ideen. Beziehungsweise zu deren anhaltender Abwesenheit.

Mit etwas gutem Willen könnte man die im Rahmen der Weltfinanz- und Wirtschaftskrise auf den Eilweg gebrachte „Verschrottungsprämie“ als neue und innovative Idee preisen. Wenn man dies aber im Licht des eigentlichen Problems der Menschheit in diesem Jahrhundert – der fortschreitenden Klimakatastrophe und der zunehmend eklatant werdenden Energieunsicherheit – betrachtet, dann ist man versucht, dieses Glühwürmchen des politischen Leuchtkastens eher unerwähnt zu lassen. Zumal, wenn die herausragende, neue politische Idee des vergangenen Vierteljahrhunderts ausgerechnet eine „Verschrottungsprämie“ sein soll, dann erübrigt sich ohnehin jeder weitere Kommentar.

„Idea-Bashing“ – olympische Disziplin

Ich möchte dabei – und auf diese Feststellung lege ich großen Wert – den schwarzen Peter nicht so einfach im gewohnten und tausendfach eingeübten Reflex den Politikern zustecken!

Die zweite gesellschaftliche Kaste, welcher der gewöhnliche Bürger oft genau so sprach- wie hilflos gegenübersteht wie den Politikern, hat über viele Jahrzehnte ein Ritual geprägt, dass prächtig dazu angetan ist, Neues früh- und rechtzeitig im Keime zu ersticken.

Eine der quasi olympischen Disziplinen der freien Weltpresse besteht seit vielen Jahren darin, von „gewöhnlich gut informierten Kreisen“ häppchenweise Bruchstücke von Informationen über Programme, Konzepte, Ideen möglichst vor allen anderen zu bekommen, diese dann – meist auf Basis der eigenen Phantasie oder Vorstellungskraft – zu ergänzen oder auf ein imaginäres „das würde dann passieren“ Szenario zu projizieren und selbiges in der Folge selbstverständlich genüsslich zu zerreißen, wohl wissend, dass kaum Gegenwehr zu erwarten ist, da diejenigen, die eigentlich gerade erst begonnen haben, eine neue Idee zu durchdenken, diese selbst noch nicht bis zum Ende gesponnen, geschweige denn auf scharfe Konters hin fit gemacht haben.

Und so verschwinden solche Konzepte – wenn sie den überhaupt entstehen – meist schneller wieder in tiefsten Schubladen, als sie auf den Diskussionstableaus gelandet sind. Meist haben sich die politischen Akteure jedoch solche Experimente inzwischen ohnehin ganz abgewöhnt. Es ist schon anstrengend genug, Routinemethoden unbeschadet über die Piste zu bringen, warum sich das Leben mit vielleicht guten, aber in aller Regel hoffnungslosen Geistesblitzen erschweren.

Ein durchaus gerüttelt Maß am Nichtvorhandensein innovativer Denkansätze in der Welt der Politik trägt aber auch der Souverän, vulgo „das Volk“. Das Motto „da weiß man, was man hat“ hat beinahe schon religiös-dogmatischen Charakter mitsamt einer rituellen Dreifaltigkeit aus Zetern & Nörgeln, persönliche Inaktivität und Wählen wie immer. Oder, wie man an den Stammtischen im süddeutschen Raum zu sagen pflegt: „des ham’ma scho imma so g’macht. Des hot’s da no nia ge’m. Und, da kunnt’a a jeda kemma“ (Gesamtdeutsche Übersetzung: „Das haben wir schon immer so gemacht. Das hat es bei uns noch nie gegeben. Da könnte ja jeder kommen.)

Einladung zum Funkenflug

Und doch, mit Fortschreiten des 21. Jahrhunderts – wie gehen schon bald in die zweite Runde – denke ich, dass es mehr als an der Zeit ist, wieder einmal ein paar Neuigkeiten, nicht nur zu denken, sondern auch schlicht und ergreifend auszuprobieren.

Das müssen keine Revolutionen sein. Davon hatte die Welt in den vergangen zwei Jahrhunderten wahrlich zur Genüge. Nein, wir könnten uns zum Beispiel an der Technik orientieren. Das Mobiltelefon– eine an sich fast winzige und zunächst auch gar nicht so atemberaubende technologische Entwicklungen – hat die Wirtschaft, das tägliche Leben und letztlich sogar die sozialen Gefüge der Gesellschaft in einem Maße verändert, wie zuletzt nur das Fernsehen, das Automobil und davor die Dampfmaschine. Ebenso natürlich das Internet, gleichfalls eher eine clevere Kombination aus Möglichem denn eine revolutionäre Erfindung.

Und so möchte ich in dieser neuen Rubrik dazu einladen Neue Ideen in den Raum zu stellen – ganz neue, oder auch solche, die bislang vielleicht übersehen wurden – sachlich zu diskutieren, und – wer weiß – vielleicht ein paar kleine Funken zu erzeugen, die fliegen und mit etwas Glück irgendwo ein frisches Feuerchen entfachen.

Ihre Meinung?


Um mit gutem Beispiel voranzugehen, folgen gleich einmal erste Gedankengänge:

Neue Ideen Folge 1: „Haste ma ne Muschl“ oder was Opel und Papua-Neuguiena gemeinsam haben könnten

Neue Ideen Folge 2: „Der Mensch erfand das Feuer – leider“ (reloaded)

Ein Gedanke zu “Neue Ideen

  1. Pingback: Der Mensch erfand das Feuer (reloaded) « Hantigk ohne O

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