Not just a number: 007

Popkultur und Gesellschaft: Warum der aktuelle Bond-Film eine richtige Entscheidung trifft und trotzdem einen schweren Fehler macht.

Spoiler-Alert: Nicht weiterlesen, wenn Sie „No time to die“ noch nicht gesehen haben, ihn aber irgendwann noch anschauen möchten.

Daniel Craig verlässt das Bond-Franchise also im maximalen Kinodonner. James Bond stirbt im Raketenhagel, den er selbst ausgelöst hat. Mehr Metapher geht kaum. Wie folgerichtig dieses Ende einer Popikone ist, erschließt sich einem jedoch erst, wenn man den Craig’schen Geheimagenten im Gesamtbild und gesellschaftspolitisch analysiert. Denn obwohl die 007-Filme natürlich in erster Linie Popcornkino der obersten Meisterklasse waren, sind sie doch auch immer ein Spiegel ihrer Zeit. Ähnlich dem Ikeakatalog, der – es mag Zufall sein – im gleichen Jahr sein gedrucktes Ende findet, wie der fiktive Meisterspion im Dienste ihrer Majestät.

Zum Anachronismus geworden

Die Feststellung, dass der James Bond, den Produzentin Barbara Broccoli gemeinsam mit einer Reihe der renommiertesten Skriptschreiber und Produzenten und nicht zuletzt auch mit Hauptdarsteller Daniel Craig in fünf Installationen auf die Leinwände der Welt gebracht und entwickelt haben, gesellschaftspolitisch zu einem Anachronismus geworden ist, mag viele zunächst überraschen, manche vielleicht sogar empören. Nicht zuletzt wahrscheinlich auch die Schöpferin und die Schöpfer selbst. Ist man doch in Sachen Diversität geradezu mustergültig unterwegs. Hat man sich doch größte Mühe gegeben, aus dem einst Frauen verschlingenden Supermacho einen sensiblen Liebhaber und schlussletztlich sogar Familienvater werden zu lassen. Gut möglich, dass sich Broccoli und Gefolgschaft gar nicht bewusst sind, wie konsequent es war, diesen James Bond so sterben zu lassen. Womöglich haben sie es instinktiv getan.

Neoliberalismus in Reinform

„Warum macht der Mann das?“, das hat man sich vielleicht schon immer, bei den fünf letzten 007-Filmen im Publikum aber sicher öfter als je zuvor gefragt. Denn Daniel Craig hat in der Rolle weit mehr eingesteckt und über sich ergehen lassen als alle Bonds vor ihm. Die Antwort auf die Frage nach der Motivation für all die Tortouren, die Craig und das Autoren- und Produzententeam gaben, war jedoch eine gänzlich andere, als bei den Vorgängern und als Ian Flemming sie gegeben hat. Die Motivation für diesen, nunmehr verstorbenen James Bond waren durch und durch persönlich.

Erst die Liebe zu Vesper Lynd, dann drei Filme lang die Vendetta, deren Tod zu rächen plus die Verwicklung des eigenen Stiefbruders und schließlich eine neue Liebe und sogar noch ein Kind. Alles reine individuelle Motive. Man darf nicht vergessen: der Craig’sche Bond war ein Geschöpf der Nuller-Jahre. Casino Royale kam zwei Jahre vor der Lehman-Brothers-Pleite in die Kinos und ist konzeptionell durch und durch von neoliberalem Geist der Nuller- und Zehnerjahre geprägt.

Dieser ließ es offenkundig schlicht im Wortsinn undenkbar zu machen, dass jemand Außergewöhnliches vollbringt, sogar sein Leben riskiert, aus anderen als persönlichen, privaten, ergo egozentrischen Gründen.

Nebenbei die Welt retten

Das Mantra, dass jede und jeder – möglichst ungestört von Regeln – für sich persönlich das Optimum herausholt, und dass das dann dazu führt, dass gewissermaßen als „Nebenprodukt“ eine bessere Welt für aller daraus wird – oder im Fall von James Bond, die Welt mal eben nebenbei auch noch gerettet wird – ist exakt das neoliberale Glaubensbekenntnis, an das zum Beispiel ein Christian Lindner noch immer glaubt.

Aber diese Weltsicht liegt inzwischen selbst im Sterben. Sie hat sich in vielerlei Hinsicht als Fehleinschätzung erwiesen, mit z.T. fatalen Folgen. Von der besagten Finanz- über die Eurokrise, die Dritte-Weltähnlichen Zustände in weiten Teilen den USA, dem vermeintlichen Land der unbegrenzten Möglichkeiten und Freiheit bis hin zur Corona-Pandemie, in der die Welt leidvoll erleben musste, dass der gut-ist-was-für-mich-gut-ist Ansatz nirgendwo hinführt. Mit Blick auf die größte Krise der Menschheit, die Klimakatastrophe, hat sich nun spätestens mit Fridays 4 Future ist eine ganze (Teil)-Generation mobilisiert, die wieder ein gemeinsames Ziel verfolgen, dass nicht in erster Linie deckungsgleich mit dem persönlichen Vorteil ist. Und das ist nur der Anfang.

Insofern also ist es absolut folgerichtig, diesen – trotz aller lobenswerter Diversitätsbemühungen – von der Zeit überholten Bond sterben zu lassen. Aber man hätte ihm natürlich genauso gut die Chance geben können, sich zu ändern. Man hätte zeigen können, wie aus dem verbrämten, verzweifelten Bond, der nur von persönlicher Motivation getrieben wird, durch Erkenntnis einer wird, der das Leben liebt. Der Motivation im Dienst für die Gemeinschaft findet, kurzum, man hätte ihm die Chance geben können, ein Held zu werden.

Reboot

Der Craig’sche Ansatz war von Anfang an ein Fehler. Für das Franchise gibt es immerhin noch das Reboot. Schade, dass es das für die echte Welt nicht gibt.

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